1. Anwendungsbereich der Vorschriften über die grenzüberschreitende Verschmelzung (§§ 122a,122b).
Da § 122a die grenzüberschreitende Verschmelzung als eine Verschmelzung definiert, bei der
mindestens eine der beteiligten Gesellschaften dem Recht eines anderen Mitgliedsstaates der
Europäischen Union(36) unterliegt, finden die Spezialvorschriften der §§ 122a ff. nur Anwendung,
wenn bei einer Verschmelzung neben einer oder mehreren deutschen Gesellschaften auch mindestens
eine Gesellschaft beteiligt ist, die dem Recht eines anderen Mitgliedsstaates der EU oder des EWRAbkommens
unterliegt(37). Ist dies nicht der Fall, ist der sachliche Anwendungsbereich der §§ 122a ff.
nicht eröffnet. Abzustellen ist also auf das Zusammentreffen mehrerer Rechtsordnungen aus
verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU oder des EWR-Abkommens.
Zweitens muss der persönliche Anwendungsbereich der § 122a ff. eröffnet sein. Gemäß §
122b Abs. 1 können an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung, sei es als übertragender oder als
übernehmender Rechtsträger, nur Kapitalgesellschaften im Sinne des Artikels 2 Nr. 1 GrenzVR (der
selbst auf die Definition der Kapitalgesellschaft i.S.d. der Publizitätsrichtlinie(38) verweist) beteiligt
sein, die nach dem Recht eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union(39) gegründet worden sind
und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einem dieser
Mitgliedsstaaten(40) haben. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift folgt, dass trotz zahlreicher
Forderungen aus dem Schrifttum(41) die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung nur
für Kapitalgesellschaften besteht (d.h. Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien,
Gesellschaften mit beschränkter Haftung, sowie Societas europaea)(42). Aus dem Anwendungsbereich
der §§ 122a ff. sind Genossenschaften sowie Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren
(OGAW) ausdrücklich ausgeschlossen (§ 122b Abs. 2). Ferner werden Personengesellschaften (GbR,
OHG, KG, Partnerschaftsgesellschaft) von § 122b Abs. 1 nicht erfasst(43).
Aus dem Wortlaut des § 122b Abs. 1 folgt zudem, dass Gesellschaften, die nach dem Recht
eines Drittstaates gegründet worden sind, sowie Rechtsträger, die keinen Satzungssitz, keine
Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in einem EU-Mitgliedsstaat(44) haben, nicht an einer
grenzüberschreitenden Verschmelzung teilnehmen können(45). Schließlich muss man darauf
hinweisen, dass die grenzüberschreitende Verschmelzung nur möglich ist, wenn eine Verschmelzung
für Gesellschaften der oben aufgezählten Rechtsformen nach dem nationalen Recht der jeweiligen
Mitgliedsstaaten möglich ist (Art. 4 Abs. 1 lit a. GrenzVR).
Ist der Anwendungsbereich der § 122a ff. eröffnet, ist dann fraglich, welches Recht auf die
grenzüberschreitende Verschmelzung anzuwenden ist.
2. Bestimmung des im Rahmen der grenzüberschreitenden Verschmelzung anwendbaren Rechts.
Soweit die GrenzVR keine abweichenden Regelungen enthält, sind auf jede der an der
Verschmelzung beteiligten Gesellschaften die Vorschriften und Förmlichkeiten des auf ihn
anwendbaren nationalen Rechts anzuwenden (Art. 4 Abs. 1 lit. b GrenzVR). Diese in § 122a Abs. 2
umgesetzte europäische Vorgabe, die für die deutschen beteiligten Rechtsträger auf das nationale
deutsche Gesellschaftsstatut verweist, ist eine Verwirklichung der kollisionsrechtlichen
Vereinigungstheorie. In der Praxis müssen zunächst für jeden der an der Verschmelzung deutschen
(und zwar nur deutschen(46)) beteiligten Rechtsträger die speziellen Vorschriften der § 122a ff.
angewendet werden. Unter diesen Vorschriften findet man solche Regelungen, die meistens
diejenigen Schritte des Verfahrens betreffen, bei denen alle Beteiligten zusammenwirken müssen
(wie z.B. bei der Aufstellung des gemeinsamen Verschmelzungsplans oder der Eintragung der
Verschmelzung)(47). Wenn die § 122a ff. für bestimmte Fragen keine Regelungen enthalten (z.B.
bezüglich des Mehrheitserfordernisses für den Verschmelzungsbeschluss), sind ergänzend die
Regelungen über die innerdeutschen Verschmelzungen (§§ 2 bis 38 und §§ 46 bis 78) auf diese
deutschen Gesellschaften gemäß § 122a Abs. 2 anzuwenden(48).
Für die an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten ausländischen
Gesellschaften gelten folglich grundsätzlich ausschließlich die Vorschriften der Rechtsordnung,
deren sie unterliegen(49). Da diese Regelungen meistens durch die Dritte Rechtlinie über die
Verschmelzung von Aktiengesellschaften und die GrenzVR harmonisiert wurden, sind sie denen des
deutschen Rechts relativ ähnlich.
3. Kurze Darstellung des Verfahrens zur grenzüberschreitenden Verschmelzung.
Um die folgenden Ausführungen über das Umtauschverhältnis und das Spruchverfahren
verständlicher zu machen, ist es erforderlich, die verschiedenen Schritte des Ablaufes des Verfahrens
zur grenzüberschreitenden Verschmelzung kurz darzustellen.
a) Aufstellung eines gemeinsamen Verschmelzungsplans (§ 122c).
Zuerst müssen die Vertretungsorgane der beteiligten Gesellschaften (bei einer AG : der
Vorstand ; bei einer KGaA : der Komplementär ; bei einer GmbH : der Geschäftsführer) in
Zusammenarbeit einen gemeinsamen Verschmelzungsplan aufstellen, der die in § 122c Abs. II Nr. 1
bis 12 aufgelisteten Mindestangaben über unterschiedliche Aspekte der grenzüberschreitenden
Verschmelzung enthalten muss. Unter diesen Angaben kommt dem Umtauschverhältnis der Anteile
eine besondere Bedeutung zu. Der gemeinsame Verschmelzungsplan muss gemäß § 122c Abs. 4
notariell beurkundet werden. Laut § 122d ist der gemeinsame Verschmelzungsplan spätestens einen
Monat vor der Anteilsinhaberversammlung, die über diesen beschließen soll, zum Register
einzureichen, sowie gemäß §§ 122a Abs. 2 i.V.m. 5 Abs. 3 dem Betriebsrat der deutschen
Gesellschaft zuzuleiten.
b) Verschmelzungsbericht (§§ 122e, 8).
In einem zweiten Schritt müssen die Vertretungsorgane der beteiligten Gesellschaften einen
Verschmelzungsbericht nach den Maßgaben der §§ 122e i.V.m. 8 erstellen. In diesem muss
insbesondere das Umtauchverhältnis der Anteile bzw. Aktien rechtlich und wirtschaftlich erläutert
und begründet werden. Im Vergleich zum Verschmelzungsbericht bei innerdeutschen
Verschmelzungen fordert § 122e bestimmte zusätzliche Angaben : Danach sind im
Verschmelzungsbericht auch die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf die
Gläubiger und Arbeitnehmer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften zu erläutern. Eine
gemeinsame Berichtserstattung sämtlicher sich verschmelzenden Gesellschaften, wie man sie bei
innerdeutschen Verschmelzungen kennt (§ 8 Abs. 2 S. 2), ist unter der Bedingung möglich, dass sie
auch von den Rechtsordnungen der beteiligten ausländischen Rechtsträger erlaubt ist(50). Die
Ausnahmen zur Berichterstattungspflicht des § 8 Abs. 3 gelten bei grenzüberschreitenden
Verschmelzungen nicht (§ 122e S. 3). Der Bericht ist den Anteilsinhabern spätestens einen Monat
vor Beschlussfassung über die Verschmelzung zugänglich zu machen (§ 122e S. 2).
c) Verschmelzungsprüfung (§§ 122f, 9 bis 12).
Anschließend hat eine Verschmelzungsprüfung gemäß §§ 122f S. 1 i.V.m. 9 bis 12 zu
erfolgen. Von der Prüfung kann nur in den Fällen der §§ 122a Abs. 2 i.V.m. 9 Abs. 2
(Verschmelzung einer hundertprozentigen Tochter- auf ihre Muttergesellschaft) oder §§ 122a Abs. 2
i.V.m. 9 Abs. 3, 8 Abs. 3 (Notariell beurkundeter Verzicht sämtlicher Anteilsinhaber auf die Prüfung)
abgesehen werden(51). Eine gemeinsame Prüfung ist möglich (§§ 122a Abs. 2 i.V.m. 12 Abs. 1 . S.
2)(52). Die Prüfung wird durch einen oder mehrere Sachverständigen (Verschmelzungsprüfer)
durchgeführt. Prüfungsgegenstand ist der Verschmelzungsplan (oder sein Entwurf). Die Prüfung
erstreckt sich auf die Vollständigkeit und Richtigkeit des Verschmelzungsplans, und insbesondere
auf die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses(53). Gemäß §§ 122a Abs. 2 i.V.m. 12 Abs. 1. S. 1
haben die Verschmelzungsprüfer über das Ergebnis der Prüfung schriftlich zu berichten. Außerdem
muss der Bericht verschiedene Angaben über das Umtauschverhältnis und seine Angemessenheit
sowie die Methode(n) zur Ermittlung dieses letzteren enthalten (§ 12 Abs. 2). Gemäß § 122f S. 2
muss der Prüfungsbericht spätestens einen Monat vor der Versammlung der Anteilsinhaber, die über
die Zustimmung zum Verschmelzungsplan beschließen soll, vorliegen.
d) Verschmelzungsbeschluss (§§ 122g, 122a Abs. 2, 13).
Da die GrenzVR bezüglich der Zustimmung der Anteilsinhaber in der Versammlung fast
keine Regelungen enthält(54), ist auf die Vorschriften zur inländischen Verschmelzung zurückzugreifen
(§ 13 i.V.m., für die AG : §§ 64 ff. ; für die KGaA : §§ 78, 64 f. ; für die GmbH : §§ 50 f.). Gemäß §
65 Abs. 1 bedarf bei einer AG der Verschmelzungsbeschluss einer Mehrheit von drei Vierteln des bei
der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Gleiches gilt gemäß §§ 78 i.V.m. 65 Abs. 1 und §
50 Abs. 1 für die Beschlussfassung bei der KGaA und der GmbH. Gemäß §§ 122a Abs. 2 i.V.m. 13
Abs. 3 ist der Verschmelzungsbeschluss notariell zu beurkunden. Sind bestimmte Anteilsinhaber der
Meinung, dass Beschlussmängel vorliegen, sind diese nach deutschem Recht zu behandeln(55). Mit der
Zustimmung der Anteilsinhaber zum Verschmelzungsbeschluss wird erst der Verschmelzungsplan
wirksam (§ 13 Abs. 1 S. 1).
e) Rechtsmäßigkeitskontrolle und Eintragung der grenzüberschreitenden Verschmelzung (§§ 122k, 122l).
Um fehlerhafte Verschmelzungen zu vermeiden, unterliegt dann die grenzüberschreitende
Verschmelzung einer zweistufigen Rechtsmäßigkeitskontrolle. Regelungen dazu enthalten die Artt.
10 und 11 GrenzVR, die durch §§ 122k und 122l im Umwandlungsgesetz umgesetzt wurden. § 122k
ist anzuwenden, wenn eine deutsche Gesellschaft als übertragender Rechtsträger bei der
grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligt ist. Ziel dieser Vorschrift ist, zu prüfen, ob die
deutsche übertragende Gesellschaft die sämtlichen Verfahrensanforderungen beachtet hat(56). Dazu
hat das Vertretungsorgan dieses Rechtsträgers das Vorliegen der ihn betreffenden Voraussetzungen
für die grenzüberschreitende Verschmelzung bei dem Registergericht des Sitzes der Gesellschaft
anzumelden. Die Prüfung erstreckt sich auf die ordnungsgemäße Durchführung der
Verfahrensschritte durch die deutsche übertragende Gesellschaft(57). Stellt das Gericht fest, dass alle
Voraussetzungen betreffend diese Gesellschaft gegeben sind, stellt es eine
Verschmelzungsbescheinigung aus (§ 122k Abs. 2 S. 1). Gemäß § 122k Abs. 3 hat dann das
Vertretungsorgan der übertragenden Gesellschaft die Verschmelzungsbescheinigung innerhalb von
sechs Monaten nach ihrer Ausstellung zusammen mit dem Verschmelzungsplan der zuständigen
Stelle des Staates vorzulegen, dessen Recht die übernehmende oder neu gegründete Gesellschaft
unterliegt. Nach der Vorlage der Bescheinigung überprüft das Register am Sitz der übernehmenden
bzw. neu gegründeten Gesellschaft die Eintragungsvoraussetzungen, insbesondere ob
Verschmelzungsbescheinigungen aller beteiligten Gesellschaften vorliegen, und ob die
Anteilsinhaber aller beteiligten Gesellschaften einem gemeinsamen, gleichlautenden
Verschmelzungsplan zugestimmt haben (§ 122l Abs. 2). Hiezu ist die Verschmelzung unter Vorlage
der in § 122l Abs. 1 aufgelisteten Dokumente zur Eintragung in das Register anzumelden. Sind alle
Voraussetzungen gegeben, wird die Verschmelzung eingetragen.
f) Wirkungen (§§ 122a Abs. 2, 20).
Mit der Eintragung treten die in § 20 (auf den § 122a verweist) aufgelisteten Wirkungen ein :
Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 geht das Vermögen der übertragenden Gesellschaft (die selbst erlischt, § 20
Abs. 1 Nr. 2) im Wege der Universalsukzession an den übernehmenden Rechtsträger über (§ 20 Abs.
1 Nr. 1). Wichtige Folge für die folgenden Ausführungen über das Umtauschverhältnis und das
Spruchverfahren ist, dass die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers Anteilsinhaber des
übernehmenden Rechtsträgers werden (§ 20 Abs. Nr. 1 S. 1). Eine einmal wirksam gewordene
grenzüberschreitende Verschmelzung kann nicht für nichtig erklärt werden (Art. 17 GrenzVR ; § 20
Abs. 2). Eine „Entschmelzung“ ist also ausgeschlossen (absoluter Bestandsschutz)(58).
36 Oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (Island, Liechtenstein
und Norwegen).
37 Drinhausen in : Semler/Stengel, UmwG, § 122a Rn. 5.
38 Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den
Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter
sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. Nr. L 065 vom 14/04/1968,
S. 8).
39 Oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum.
40 Oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum.
41 Siehe z.B. : Bayer/Schmidt, NZG 2006, 841 ; Drinhausen/Keinath, BB 2006, 725 (732) ; Vetter, AG 2006, 613 (616).
42 Kulenkamp, SS. 140 und 157 ; Vetter, AG 2006, 613 (615).
43 Herrler, EuZW 2007, 295 (296).
44 Oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum.
45 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122b Rn. 11.
46 Herrler, EuZW 2007, 295 (296).
47 Klein, RNotZ 2007, 565 (577).
48 Herrler, EuZW 2007, 295 (296).
49 Klein, RNotZ 2007, 565 (577).
50 Frenzel, RIW 2008, 12 (16 f.) ; Bayer/Schmidt, NJW 2006, 401 (403).
51 Neye/Timm, DB 2006, 488 (489).
52 Herrler, EuZW 2007, 295 (296).
53 Drinhausen in : Semler/Stengel, UmwG, § 122f Rn. 2.
54 Drinhausen/Keinath, BB 2006, 725 (729).
55 Bork in : Lutter, UmwG, § 13 Rn. 42.
56 Herrler, EuZW 2007, 295 (297).
57 Drinhausen in : Semler/Stengel, UmwG, § 122k Rn. 14.
58 Klein, RNotZ 2007, 565 (608).