Zum Verständnis der Rolle des Spruchverfahrens im Rahmen einer grenzüberschreitenden
Verschmelzung erscheint es unerlässlich, in einem ersten Schritt die Leitlinien der Anwendbarkeit,
der Durchführung und der Rechtsfolgen dieses Verfahrens im Rahmen einer innerdeutschen
Verschmelzung kurz darzustellen.
1. Das Recht auf Einleitung eines Spruchverfahrens und auf bare Zuzahlung (§ 15 Abs. 1).
a) Voraussetzungen.
Das Spruchverfahren ist ein „wesentliches Element des Minderheiten- und Anlegerschutzes“(132)
und hat vorwiegend zum Zweck, die Minderheitsgesellschafter, die die Verschmelzung und ihre
Folgen aufgrund eines Beschlusses, der nur der qualifizierten Mehrheit von drei Vierteln bedarf(133),
hinnehmen müssen, zu schützen(134) : Bei innerdeutschen Verschmelzungen gewährt § 15 den
Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers die Möglichkeit, zur Verbesserung des
Umtauschverhältnisses ein Spruchverfahren nach den Maßgaben des Spruchverfahrensgesetzes(135)
einzuleiten. Im Rahmen dieses Verfahrens können die Anteilsinhaber des übertragenden
Rechtsträgers überprüfen lassen, ob das Umtauschverhältnis der Anteile angemessen bemessen
wurde. Ist dies nicht der Fall, so steht ihnen ein Anspruch auf bare Zuzahlung zu. § 15 Abs. 1 hat
somit sowohl eine materiell-rechtliche als auch eine prozessuale Funktion : Auf der einen Seite
bestimmt diese Vorschrift, wer zur Einleitung eines Spruchverfahrens berechtigt ist ; Auf der anderen
Seite gewährt sie den Anteilsinhabern der deutschen übertragenden Gesellschaft bei
unangemessenem Umtauschverhältnis einen Anspruch auf bare Zuzahlung(136).
Voraussetzung des Anspruchs auf bare Zuzahlung ist eine unangemessene Gegenleistung, d.h.
das Umtauschverhältnis muss im Verschmelzungsvertrag(137) zu niedrig bemessen worden sein. Nach
der Rechtssprechung ist entscheidend, ob der Wert der verlorenen Anteile im Wesentlichen mit dem
der im Züge der Verschmelzung erhaltenen Anteilen übereinstimmt(138). Für diese Bewertung ist der
Zeitpunkt der Beschlussfassung des übertragenden Rechtsträgers maßgeblich(139). Für die Beurteilung
der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses ist gleichgültig, welcher der Rechtsträger fälschlich
zu niedrig oder zu hoch bewertet worden ist : Es kann sich sowohl um die übertragende als auch um
die übernehmende Gesellschaft handeln(140).
b) Rechtsfolgen.
Kommt das Gericht im Spruchverfahren zu dem Ergebnis, dass das Umtauschverhältnis
unangemessen ist, ordnet es einen Ausgleich durch eine bare Zuzahlung an. Dieser im
Spruchverfahren ergehende Entscheidung kommt inter-omnes Wirkung zu (§ 13 S. 2 SpruchG).
Schuldner der baren Zuzahlung ist der Antragsgegner, d.h. der übernehmende Rechtsträger (§ 5 Nr. 4
SpruchG). Die Zuzahlung beträgt die Differenz zwischen dem Wert der verlorenen und dem der
durch die Verschmelzung erhaltenen Anteile(141). Gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 2. HS kann die Zuzahlung
den zehnten Teil des Nennbetrages der gewährten Anteile übersteigen. Ein Ausgleich durch die
Gewährung von zusätzlichen Anteilen oder Aktien an dem übernehmenden Rechtsträger ist nicht
möglich(142).
Außerdem ist nach § 15 Abs. 2 die bare Zuzahlung jährlich mit einem Prozentsatz von 2 %
über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu verzinsen. Zweck dieser Vorschrift
ist zu verhindern, dass der übernehmende Rechtsträger das Spruchverfahren hinauszögert, um seine
Zahlungspflicht hinauszuschieben(143). Zugleich wird der Nachteil ausgeglichen, den der
Anteilsinhaber dadurch erlitten hat, dass das Spruchverfahren auf eine gewisse Dauer angelegt ist(144).
2. Der Ausschluss von Anfechtungsklagen betreffend das Umtauschverhältnis (§ 14 Abs. 2).
Da den Anteilsinhabern mit dem Spruchstellenverfahren grundsätzlich gewährleistet wird, dass
sie durch die Verschmelzung wirtschaftlich nicht schlechter gestellt werden(145), wird ihnen die
Möglichkeit einer auf eine angeblich zu niedrige Festlegung der Wertrelation gestützten Klage gegen
die Wirksamkeit des Verschmelzungsbeschlusses (Anfechtungsklage) genommen (§ 14 Abs. 2).
Zweck dieser Vorschrift ist zu vermeiden, dass die Verschmelzung durch einen Streit über die
Angemessenheit des Umtauschverhältnisses verzögert wird(146). Infolgedessen steht die Anhängigkeit
eines Spruchverfahrens dem Wirksamwerden der Verschmelzung nicht entgegen(147). Die
Unangemessenheit des Umtauschverhältnisses ist somit bei internen Verschmelzung nur im Wege
des Spruchverfahrens gerichtlich geltend zu machen. Der Ausschluss des § 14 Abs. 2 umfasst alle
Klagen, mit denen geltend gemacht wird, das Umtauschverhältnis der Anteile sei kein ausreichender
Gegenwert für die Anteile bei dem übertragenden Rechtsträger(148) und erstreckt sich auf
Informationsmängel bezüglich der Bewertung, d.h. auf unrichtige, unvollständige oder
unzureichende Informationen in der Anteilsinhaberversammlung über die Ermittlung, Höhe und
Angemessenheit eines Ausgleichs (§ 243 Abs. 4 S. 2 AktG für die AG, der gemäß und § 278 Abs. 3
AktG für die KGaA analog für die GmbH gilt)(149).
Da § 15 Abs. 1 nur die Anteilsinhaber der übertragenden Gesellschaft und nicht diejenigen
des übernehmenden Rechtsträgers betrifft, haben diese letzteren lediglich die Möglichkeit, im Wege
der Anfechtungsklage gegen den Verschmelzungsbeschluss vorzugehen, falls sie die
Verschmelzungswertrelation und somit das Umtauschverhältnis (etwa wegen einer Überbewertung
des übertragenden Rechtsträgers) als unangemessen erachten(150).
Da bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung mehrere Rechtsordnungen
zusammentreffen und die meisten europäischen Gesellschaftsrechte dem Spruchverfahren fremd
sind(151), war die bloße Übertragung dieser Grundsätze auf grenzüberschreitende Verschmelzungen
unmöglich. Eine gewisse Anpassung war somit erforderlich. Diese wurde durch Art. 10 Abs. 3 S. 1
GrenzVR und dessen Umsetzung in § 122h Abs. 1 vorgenommen.
132 Lutter/Bezzenberger, AG 2000, 433 (435).
133 Lösekrug, S. 233.
134 Lutter/Bezzenberger, AG 2000, 433 (435).
135 Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren v. 12.6.2003, BGBl. I, 838.
136 Gehling in : Semler/Stengel, UmwG, § 15 Rn. 2.
137 Für die grenzüberschreitende Verschmelzung „Verschmelzungsplan“ genannt.
138 Bork in : Lutter, UmwG, § 15 Rn. 3 ; Gehling in : Semler/Stengel, UmwG, § 15 Rn. 20.
139 Marsch-Barner in Kallmeyer : UmwG, § 15 Rn. 2 ; BayObLG Urt. v. 18.12.2002, ZIP 2003, 253 (254) ; LG
Dortmund, Urt. v. 10.6.1997, DB 1997, 1915 ; LG Düsseldorf, Urt. v. 16.12.1987, AG 1989, 138.
140 Vetter, ZHR 168 (2004), 8 (18).
141 Bork in : Lutter, UmwG, § 15 Rn. 5.
142 Vetter, ZHR 168 (2000), 8 (52). Für eine umfassende Behandlung dieser Frage : Meier-Reimer, ZHR 164 (2000), 563
(574 ff.).
143 Bork in : Lutter, UmwG, § 15 Nr. 7. ; Gehling in : Semler/Stengel, UmwG, § 15 Rn. 28.
144 Gehling in : Semler/Stengel, UmwG, § 15 Rn. 28.
145 Bork in : Lutter, UmwG, § 15 Rn. 1
146 Bork in : Lutter, UmwG, 14 Rn. 13.
147 Gehling in : Semler/Stengel, UmwG, § 14 Rn. 30.
148 Gehling in : Semler/Stengel, UmwG, § 14 Rn. 31.
149 Bayer in : Lutter, UmwG, § 122h, Rn. 14.
150 Hoffmann-Becking, ZGR 1990, 482 (484) ; Vetter, ZHR 168 (2004), 8 (24) ; Wiesen, ZGR 1990, 503 (506) ; Gehling
in : Semler/Stengel, UmwG, § 14 Rn. 17 ; Marsch-Barner in : Kallmeyer, UmwG, § 14 Rn. 15 ; BGHZ 112, 9 (19) ;
OLG Stuttgart AG 2003, 456 (457).
151 Neye, ZIP 2005, 1893 (1897).